Kunst muss über ihre Zeit hinaus etwas Liebenswertes und Menschliches bewahren. Das Glück, das ihre Formen schenken, macht z.B. die ägyptische Kunst bis heute bedeutsam. Der Auftrag: „Sozialistische Integration“ gab mir, in den 1970er Jahren, die Möglichkeit das Zusammenwirken von Menschen unterschiedlicher Berufe und Nationalitäten und die faszinierende Formenwelt der Baustelle des Kraftwerks Boxberg in eine Bildform umzusetzen. Das Boxbergbild ist ein Bericht über einen konkreten Ort und eine konkrete Zeit. Integration ist Verbindung einer Vielheit, in diesem Fall einzelner Personen, zu einer gesellschaftlichen Einheit, Eingliederung von Einzelleistungen in ein größeres Ganzes. Das ist die Arbeitsweise der Menschen überall in der Welt. Einmal führte mich ein „Kollege“ über die Baustelle. Unauffällig auf Schleichwegen, vielleicht nicht ganz legal, aber äußerst informativ und aufregend, durch alle Bereiche, auch ganz nach oben unters Dach. Es ging vorbei an Lichtern, Farben, Gerüche, Geräusche, vorbei an Gesichtern, Gestalten und sonderbaren Maschinen. Mit traumwandlerischer Sicherheit und mit schweren Maschinenteilen auf den Schultern „rauscht“ eine Gruppe Arbeiter schnell über federnde Bohlen. Links und rechts im Fußboden öffnet sich der Blick bis tief nach unten in das Maschinenhaus, 15m tief. Kein Platz für Zauderer. Freundschaftliche Beziehungen und Sympathie für ehrlich arbeitende Menschen sind ein Erlebnis fürs Leben. Mit einer modernen Montagetechnik habe ich versucht, einzelne Charaktere in ihren jeweiligen Besonderheiten, kaum merklich, von einander abzugrenzen. Jedes Portrait als Wesen ein kleiner Kosmos für sich – vierzehn Portraits von Menschen aus verschiedenen Berufen und Ländern, mit der besonderen Art ihres Denkens und Fühlens, ein wenig isoliert jeder, um das Unterschiedliche im Gegensatz zu der Einheit des Übergeordneten anschaulich herauszuarbeiten. Das übergeordnete Ganze ist ein funktionsfähiges Kraftwerk, das am Ende richtig Strom erzeugt. Stellvertretend für andere Arbeitsprozesse läuft im Mittelpunkt des Bildes eine Montageszene. Eine Turbine wird eingesetzt: qualifizierte Millimeterarbeit. Der Kranführer arbeitet draußen, in ständigem Kontakt mit Zielen und Problemen, seine Position ist ein Symbol. Er sitzt im Kreis der Kommunikation und doch auf seinem Arbeitsplatz und im wechselseitigen Verhältnis zwischen Leitung und Produktion. Rechts im Bild: Baustellen- und Abteilungsleitung mit den russischen Spezialingenieuren, die Gruppe der Fordernden, die Leitenden, die Macht. Links im Bild die Unentbehrlichen, die Boten der Realität, die Realisatoren. Links unten der Gewerkschaftsboss, der mir für die Gesichter und Verhaltensweisen der „Boxberger“ typisch erschien. Darüber ein junger Arbeiter und ein erfahrener Ingenieur, ein Leistungsträger, einer von denen, die die Widersprüche in der Praxis kennen, lösen oder aushalten müssen. Darüber Tschandor, ein Ungar. Die Blume im Bild sei ein Kompliment an die vielen tüchtigen und hübschen Mädchen von der Baustelle. Links, die Ingenieurin, die still, aber zuverlässig auch die kompliziertesten Aufgaben löst. Daneben, die Sekretärin des Bauastellendirektors, die in der Brandung der Tagesgeschäfte noch jung aber souverän ihre Aufgaben erledigt, darüber eine kleine Russin, die zum Schwatzen kam, ein Wechsel von Anspannung und überraschender Ruhephase. Wenn mein Bild wieder in Boxberg zusehen ist, wenn Menschen die jetzt im Kraftwerk arbeiten den Respekt und die Achtung vor arbeitenden Menschen in meinem Bild spüren, wäre das für mich die schönste Bestätigung. Das Bild wurde 1977 fertiggestellt. Heute, nach einem ganzen Malerleben würde ich aber vieles anders machen.
Jörg Krenke
Lektorat: Dr. Helen Adkins